EuGH ändert Apothekenrecht

Wie wirkt sich die Entscheidung des EuGH zum österreichischen Apothekenrecht aus?

Am 30. Juni 2016 fasste der Gerichtshof der Europäischen Union einen Beschluss, der unter Österreichs Apothekern großes Aufsehen erregte: Die zentrale Bestimmung des Apothekengesetzes - § 10 zur Bedarfsprüfung - ist nicht mehr voll anwendbar. Bestehenden Apotheken musste bisher ein Versorgungspotential von 5.500 zu versorgenden Personen bleiben, bevor eine neue Apotheke eröffnen konnte. Das gilt ab jetzt so lange nicht mehr, bis ein neues Gesetz erlassen wird.

Ping-Pong-Spiel der Gerichte

Der Beschluss in der Rechtssache C 634/15 bildet den Höhepunkt in zwei Apothekenverfahren in Pinsdorf und Leonding, beides Orte in Oberösterreich. Die Bezirkshauptmannschaften versagten im ersten Fall eine Apothekenkonzession, im zweiten eine Standorterweiterung. Der Unabhängige Verwaltungssenat Oberösterreich und das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich wollten die Entscheidungen „umdrehen“ und ließen sich in Vorabentscheidungsersuchen 2014 und 2015 vom EuGH sagen, dass die 5.500-Personen-Grenze nicht anzuwenden sei, weil sie der Niederlassungsfreiheit der EU widerspreche.

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (in Nachfolge des UVS) sah sich in seiner Meinung gegen das Apothekengesetz bestätigt und entschied zu Gunsten der Antragsteller.

In der Folge entschied der österreichische Verwaltungsgerichtshof aber wieder gegen die Antragsteller, weil nach seiner Auslegung des EuGH-Urteils die 5.500-Personen-Grenze nur in Sonderfällen EU-widrig sei.

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich schaltete daraufhin neuerlich den EuGH ein, der mit seinem jetzigen Beschluss endgültig klarstellte: Die 5.500-Personen-Grenze ist nicht nur in Sonderfällen, sondern immer EU-Rechts-widrig.

Darauf gestützt wird nun das Landesverwaltungsgericht wohl gegen den Verwaltungsgerichtshof für die Konzessionserteilung und für die Standorterweiterung entscheiden. Der Verwaltungsgerichtshof „bleibt über.“

Was ist zu sehen? Was ist zu tun?

  • Nun wird auch in Österreich bekannter werden, dass inländische Instanzenzüge nicht mehr ihre alte Bedeutung haben. Unter Berufung auf EU-Recht sind nämlich untere Instanzen nicht an die Rechtsmeinung österreichischer Höchstgerichte gebunden. So können selbst Erkenntnisse unseres Verfassungsgerichtshofs ausgehebelt werden. (Anmerkung: Wenn dazu im zwischenstaatlichen Wirtschaftsrecht noch internationale Schiedsgerichte kommen, wird es noch unübersichtlicher und Elitenwissen wird noch wichtiger.)
  • Eine bedarfsgerechte Apothekenverteilung hält der EuGH für zulässig, aber Österreich hat bisher keine zu Stande gebracht, die der EU gefällt. Auch die letzte Apothekengesetz-Novelle vom 2. Juni 2016, die eigentlich die Auffassung des EuGH umsetzen sollte, reicht nicht hin.
  • Die 500-Meter-Grenze gilt nach wie vor und die EuGH-Entscheidung wirkt sich auf städtische Lagen kaum aus.
  • Die Zahl der Anträge auf Standorterweiterung oder auf Standortverlegung wird explodieren und Ähnliches ist für Neukonzessions-Anträge zu erwarten. Laufende Konzessionsverfahren könnten einen Durchbruch erleben.
  • Die Anträge werden wohl erst entschieden werden, wenn das Gesetz novelliert ist – es sei denn, dies dauert zu lange. Die Bezirksverwaltungsbehörden haben diese Anträge in der Reihenfolge ihres Einlangens abzuarbeiten.
  • Österreichs Gesundheitspolitik steht vor einem Dilemma: Der österreichische Verfassungsgerichtshof lehnt seit 1998 eine klassische Bedarfsprüfung ab, lässt aber eine Existenzgefährdungsprüfung zu. Der Europäische Gerichtshof steht einer Existenzgefährdungsprüfung skeptisch gegenüber und erlaubt Bedarfsregelungen. Eine Neuregelung wird sich an der unionsrechtlichen Kohärenz nach Artikel 7 AEUV ausrichten müssen.
  • Auf folgende Punkte kommt es in Zukunft für erfolgreiche Apotheken an:
    1. Lage,
    2. Lage,
    3. Lage.